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19. Mai 2009

Plagiate - Vom Indiz zum Beweis

Frank Ristow

Aufgrund von eigenen Erfahrungen mit meinen Studenten hier in China konnte ich sozusagen am eigenen Leib erfahren, wie groß das Problem des Plagiarismus ist. Dabei sind die Arten und Formen äußerst unterschiedlich. Sie reichen von teilweisen bis kompletten inhaltlichen und strukturellen Übernahmen von Texten aus dem frei zugänglichen Internet über inhaltliche und strukturelle Übernahmen aus chinesischen Quellen mit deren Übersetzungen bis zur Übernahme von kompletten Arbeiten über persönliche Beziehungen und Tauschbörsen. Jedes Plagiat scheint in seiner Art einzigartig zu sein und je nach Art des Plagiats unterscheiden sich auch die Strategien, die man aufwenden muss, um Plagiate erfolgreich zu bekämpfen.

In diesem Text möchte ich mich mit dem Thema Plagiarismus in folgender Reihenfolge auseinandersetzten:

Zunächst beschäftige ich mich mit den Indizien. Was weist möglicherweise auf ein Plagiat hin? Diese Indizien sollen aufgelistet, erläutert und mögliche Maßnahmen erläutert werden. Je nach Zusammensetzung der Indizien sind dann Entscheidungen zu treffen, wie die Beweisführung zu erfolgen hat. Dabei unterscheide ich zwischen zwei Hauptstrategien, die nacheinander genau erläutert werden sollen:

Die erste Gruppe an Strategien zur Beweisführung bezieht sich auf alles, was dem Lektoren selbst (weitgehend) unmittelbar zugänglich ist, zum Beispiel das öffentlich zugängliche Internet, die Arbeiten der Institution, an der er tätig ist, die Bibliothek(en) der Institution.

Die zweite Gruppe bezieht sich auf Strategien, die über Kommunikation und Netzwerkstrukturen zur erfolgreichen Bekämpfung von Plagiaten beitragen können.

Es folgt eine Liste mit "Tabu-Themen", genaueres bitte dort.

Am Schluss wird noch einmal eine Checkliste angehängt, in der die möglichen Indizien, die auf mögliche Plagiate hinweisen, aufgelistet werden.

Sehr häufig werden Arbeiten auf Basis der zugrunde liegenden Indizien beurteilt. Psychologisch zufriedenstellend ist das für die Betreuer von wissenschaftlichen Arbeiten nicht. Ohne definitive Beweise kann oft auch das Ausmaß des Plagiarismus nur schwer eingeschätzt werden, was die Bewertung nicht gerade erleichtert. Und es bleibt immer noch ein Restrisiko, die Verfasser vielleicht doch falsch einzuschätzen und ungerecht zu beurteilen. Daher wäre es schön und wünschenswert – soweit möglich – Plagiate direkt zu beweisen.

Indizien, die auf Plagiarismus hinweisen

Die hier aufgelisteten Indizien entsprechen weitgehend auch der am Ende angehängten Checkliste zum Erkennen von möglichen Plagiaten:

Indiz 1: Die Arbeit wird komplett abgegeben, ohne dass vorher nachweisbar ein Prozess stattgefunden hat, bei dem sich der Kandidat wirklich mit dem Thema beschäftigt hat.

Hier kann es helfen, den Prozess der Arbeit zu verfolgen, wobei die Studenten bezüglich ihrer Arbeit zu bestimmten Zeiten bezüglich ihrer wissenschaftlichen Arbeit bestimmte Leistungen zu erbringen haben.

a) Die Studenten bekommen einen Laufzettel, bei dem der Betreuer jeweils unterschreibt, dass die Studenten die jeweiligen Leistungen erbracht haben.

b) Es finden in bestimmten Abständen Gespräche und / oder Kolloquien mit den Kandidaten statt, in denen sie über ihre Arbeit sprechen sollen. Hier lässt sich dann schnell feststellen, ob die Kandidaten sich mit ihrer Arbeit beschäftigen. Zugleich stellt diese Form eine gute Möglichkeit dar, die Studenten auf ihre mündliche Verteidigung vorzubereiten. In der Praxis steht aber oft die Tatsache entgegen, dass während der Bearbeitungsfrist die Studenten nicht mehr direkt an den Unis zu erreichen sind, weil sie im 2. Semesters des 4. Studienjahres oft keinen Unterricht mehr haben und zu Hause sind, Arbeit suchen oder Praktika machen. Hier wäre vielleicht zu überlegen, die Frist für die Bearbeitung der Bachelor-Arbeiten auf das 1. Semester vorzuverlegen, um zu gewährleisten, dass die Studenten auch erreichbar sind.

Indiz 2: Die Kandidaten haben keinen Zugang zu der in der Literaturliste aufgeführten Literatur oder sie sind bei genauerem Nachfragen nicht in der Lage Informationen über den Inhalt der für sie wichtigen Literatur zu geben. (Natürlich muss die Literatur sich auch auf den Inhalt der Arbeit beziehen!)

Der Betreuer kann überprüfen, welche der aufgelisteten Literatur an der Uni oder durch andere Kanäle direkt und welche Literatur über das Internet zur Verfügung steht. Der Kandidat muss dann bei aus dem Internet bezogener Literatur genaue Quellenangaben machen, sie auf digitalen Datenträgern und / oder andere Literatur in Papierform nachweisen. Die inhaltlichen Kenntnisse über die zugrunde liegende Literatur kann man dann bei den Kolloquien und / oder Gesprächen mit den Studenten überprüfen.

Indiz 3: Der Schreibstil innerhalb der Arbeit wechselt oft mehrfach und / oder Stellen mit perfektem Deutsch wechseln ab mit sehr fehlerhaften Stellen.

In einem ersten Schritt kann man die Studenten darauf aufmerksam machen und sie daraufhin ansprechen. Der nächste Schritt könnte dann darin bestehen, besonders die gut formulierten Stellen zu überprüfen.

Indiz 4: Das in der Arbeit präsentierte Denken, Argumentieren und Wissen ist dem Kandidaten kaum zuzutrauen.

Hier habe ich schon die Erfahrung gemacht, dass Studenten in einer wissenschaftlichen Hausarbeit in selbst formulierter Sprache Informationen, Argumentationen und Denkweisen präsentiert haben, die ich ihnen so nicht zugetraut habe. Es hat sich dann herausgestellt, dass die Studenten aus chinesischen Texten übersetzt haben. In der Folge habe ich die betroffenen Studenten zu mir gebeten und sie mit meiner Vermutung konfrontiert und sie, da ich aufgrund meiner mangelnden Chinesischkenntnisse, eine Überprüfung nicht selber vornehmen kann und ich eine zusätzliche Belastung chinesischer Kollegen möglichst vermeiden möchte, vor folgende Wahl gestellt:

  1. Sie geben den Plagiarismus zu und ihnen wird zumindestens die Übersetzungsleistung anerkannt, wobei die Note nicht gut aber 60 oder etwas darüber ist.
  2. Sie geben den Plagiarismus nicht zu und ich bitte einen chinesischen Kollegen, die Arbeit auf meinen Verdacht hin zu überprüfen, wobei, wenn die Überprüfung positiv ist – dass heißt Plagiarismus nachgewiesen wird – die Arbeit auf jeden Fall nicht bestanden ist und im anderen Fall, wenn die Überprüfung negativ ist, also Plagiarismus nicht nachgewiesen wird, die Arbeit entsprechend der darin erbrachten Leistung benotet wird.

Indiz 5: Die Arbeit entspricht in ihrer formalen Gestaltung nicht in allem den Vorgaben der Uni bzw. Abteilung.

Das ist in der Regel ein starkes Indiz dafür, dass die Arbeit aus dem Internet stammt oder über informelle Netzwerke bezogen wurde. Ein Beispiel, dass mir begegnet ist: Eine Arbeit enthielt die im anglo-amerikanischen Raum übliche Kurzzitation im Text, aber nicht in Form von Fuß- oder Endnoten, wie es in der deutschen Literaturwissenschaft üblich ist und auch nicht von der Abteilung verlangt wird. Zudem habe bin ich im Schreibunterricht nicht auf anglo-amerikanische Konventionen bei wissenschaftlichen Arbeiten eingegangen, was meinen Verdacht nur noch mehr erhärtet hat.

Recherchen im Internet und im eigenen Bereich

In der Regel enthalten meiner Meinung nach die meisten Arbeiten Inhalte, die mindestens nicht belegt werden. Dabei reicht die Häufigkeit der Übernahmen von einzelnen Übernahmen bis zu einer Zusammenpuzzelung der kompletten Arbeit ohne eigene geistige Arbeit zu leisten.

Viele Studenten, besonders die, die viel bis die ganze Arbeit plagiieren, machen sich nicht viel Arbeit. Hier mag es helfen, sich in deren Lage zu versetzen und deren Werkzeuge zu benutzen.

Sehr schnell und sehr oft wird man mit Google (http://www.google.de/advanced_search?hl=de) fündig. Für die Recherche sucht man nach zentralen Begriffen oder Begriffskombinationen und gibt diese ein. Es kann sein, dass man erst nach mehreren Kombinationen ans Ziel kommt. Oft hilft es nach der Eingabe der deutschen Wörter und Phrasen sich die Ergebnisse auf Chinesisch oder chinesischen Webseiten anzeigen zu lassen.

Für viele Studenten bildet Baidu (www.baidu.com) den Ursprung ihres Suchens. Wenn Google nicht hilft, dann könnte ein Versuch mit Baidu nicht schaden. Auch wenn Baidu rein Chinesisch ist, so ist diese Webseite fast wie eine Kopie von Google und daher auch für diejenigen, die nicht Chinesisch lesen können, relativ schnell zu benutzen.

Weitere Möglichkeiten der Recherche bilden

  • die Büchersuche bei Google (http://books.google.de)
  • die Suche nach wissenschaftlichen Dokumenten bei Google (http://scholar.google.de)
  • weitere Suchmaschinen wie Alltheweb (www.alltheweb.com) und Seekport (www.seekport.de)
  • Tauschbörsen für Hausaufgaben und wissenschaftliche Texte z.B. Grin (www.grin.com)

HilfeLiebe Lektoren! Hier könnt ihr mir helfen und diese Liste ergänzen!!!

Ansonsten kann es sehr nützlich sein, herauszufinden, welche Arbeiten zu den gleichen oder ähnlichen Themen schon an der Abteilung geschrieben wurden und bei entsprechendem Verdacht eine Blick in sie hineinzuwerfen. In einem Fall haben Studenten für eine wissenschaftliche Hausarbeit eine Bachelor-Arbeit inhaltlich übernommen, was ich auf diesem Weg nachweisen konnte.

Zudem wäre es gut, wenn man an den Abteilungen für die Lehrer zugängliche Datenbanken anlegen würde, die zentrale Informationen zu den dort verfassten wissenschaftlichen Arbeiten wie Titel, Inhaltsverzeichnis, einzelne Textstellen und Inhaltsverzeichnis enthalten, um Fälle von Plagiarismus leichter aufdecken zu können.

Recherchen über Netzwerke und Foren

Häufig beziehen Studenten Teile ihrer Arbeiten oder auch vollständige Arbeiten über informelle Netze wie persönliche Beziehungen und Tauschbörsen für die man einen individualisierten Zugang haben muss. Plagiate dieser Art nachzuweisen, das ist mit Abstand am schwersten, aber nicht unmöglich. So ist es mir in Chongqing gelungen, über das Lektorennetz herauszufinden, dass Studenten eine Arbeit abgegeben haben, die in Nanjing verfasst wurde.

Es gibt meiner Einschätzung nach zwei Möglichkeiten, diese Art des Plagiarismus zu bekämpfen:

1. Auf Netzwerke antwortet man mit eigenen Netzwerken

Ein Netzwerk können zum Beispiel die in China tätigen Lektoren bilden. Durch ihre Hände laufen sehr viele Bachelor-Arbeiten. Anfragen an das Netz können, wie das obige Beispiel zeigt, sehr erfolgreich sein.

Noch erfolgreicher aber wäre der Kampf gegen die Plagiate, wenn sich die Abteilungen untereinander vernetzen und zum Beispiel eine zentrale Datenbank anlegen würden mit Informationen zu den an den jeweiligen Abteilungen verfassten Arbeiten im wissenschaftlichen Stil. Diese Datenbanken sollten meiner Meinung nach – und zum Teil wie auch oben schon geschrieben – die folgenden Informationen enthalten: Name des Verfassers; Universität / Abteilung, an der die Arbeit verfasst wurde; Name des Betreuers; Titel der Arbeit; Inhaltsverzeichnis; Teil der Einleitung; einige Textstellen; Literaturverzeichnis. Diese Informationen sollten eigentlich in den meisten Fällen genügen, um Plagiate zu erkennen. Ich empfehle nicht, in dieser Datenbank komplett abrufbare Arbeiten einzugeben, da diese dann selbst wieder zum Missbrauch benutzt werden kann.

2. Man dringt in die Netzwerke der Studenten ein.

Man wird selber Benutzer oder sucht durch chinesische Freunde oder Kollegen nach Plagiaten in den Netzwerken der Studenten. Dabei wäre es taktisch vielleicht geschickt, diese Anfragen schon zu Beginn der Bearbeitungszeit oder aber in einem relativ frühen Stadium zu stellen, um weniger Verdacht zu erwecken. Anfragen in der Bewertungsphase könnten sich als taktisch ungeschickt erweisen und bei anderen Benutzern Verdacht erregen.

Ich hoffe, an dieser Stelle bald die Links zu einigen chinesischen Tauschbörsen einfügen zu können.

HilfeWenn ihr, liebe Kollegen, schon solche Tauschbörsen kennt, dann wäre es schön, wenn ihr mir die entsprechenden Links zuschicken würdet und eventuell Informationen, wie man in diesen Tauschbörsen Mitglied werden kann, wie groß sie sind usw.

"Tabu-Themen"

Meiner Erfahrung nach gibt es bei den Themen, die schon tausendmal in wissenschaftlichen Arbeiten durchgekaut wurden. Hier ist zum einen die Möglichkeit der Gewinnung neuer Erkenntnisse sehr gering und auf der anderen Seite ist die Gefahr für Plagiarismus bei diesen Themen besonders groß. Ich empfehle daher, in Zukunft die Studenten nicht mehr über solche Themen schreiben zu lassen. Vielleicht kann man das auch in den Abteilungen durchsetzen.

Hier folgt eine Liste mit Themen, bei denen es sich meiner Einschätzung nach um "Tabu-Themen" handelt:

- Jelinek, Elfriede: Die Klavierspielerin

- Schlink, Bernhard: Der Vorleser und der Film dazu

- Süskind, Patrick: Das Parfum und der Film dazu

- Zweig, Stefan: Brief einer Unbekannten

- Zweig, Stefan: Schachnovelle

HilfeVermutlich würde ich noch viel mehr Themen finden, wenn ich die Liste der Themen der letzten Jahre durchgehen würde. Bitte teilt mir mit, wenn ihr Vorschläge für solche Themen habt!!!

Checkliste zum Erkennen von möglichen Plagiaten

 

Ja

Nein

Ist der Prozess der Entstehung der Arbeit nachvollziehbar?

O

O

Hat sich der Verfasser erkennbar kontinuierlich mit der Arbeit beschäftigt?

O

O

Entspricht das Sprachniveau der Arbeit den Fähigkeiten des Verfassers?

O

O

Gibt es in der Arbeit erkennbare Unterschiede im Schreibstil und der Qualität der Sprache?

O

O

Sind Aussagen und Argumentationen in der Arbeit dem Verfasser zuzutrauen?

O

O

Entspricht die formale Gestaltung den Vorgaben der jeweiligen Institution?

O

O

Wenn man den Verfassern das wissenschaftliche Schreiben beigebracht hat, kann man sozusagen die eigene ‚Handschrift’ erkennen?

O

O

Hat der Verfasser Zugang zur im Literaturverzeichnis aufgelisteten Literatur?

O

O