DaFMat - Deutsch für Chinalektoren

Wenn Sie dies hier sehen können, versteht Ihr Browser kein CSS, oder Sie haben CSS-Stylesheets ausgeschaltet.

10. Mai 2009

Meine Prüfung für den chinesischen Führerschein

Katja Meuß

Das waren noch glückliche Zeiten, bevor der Computer die Führerscheinprüfung in Tianjin revolutionierte. Seit Anfang 2006 legt man den Führerscheintest auch in Tianjin elektronisch ab. Bedeutet das den Beginn eines neuen Führerscheinzeitalters?

Da wir in Tianjin leben, brauchen wir den chinesischen Führerschein, um mit einem Auto in China herumzureisen. Ich bekam die Auskunft, dass ich in Peking oder Shanghai ohne weiteres mit meinem internationalen Führerschein ein Auto mieten und fahren könne. In Tianjin, der viertgrößten Stadt Chinas (11 Mio Einw.), die auch als Stadt mit geringer Korruption gilt, gelten andere Gesetze. Der Führerschein sei jedoch kein Problem, wurde mir versichert, eine reine Formsache. Meine chinesischen Freunde erklärten das Prozedere: Zuerst kommt die Gesundheitsuntersuchung, dann die Anmeldung zur Prüfung, Ausfüllen von diversen Formularen, der Pass und der deutsche Führerschein müssen ins Chinesische übersetzt werden. Die Prüfung umfasst eine theoretische Prüfung und ein Fahren im Übungshof. Dabei zeigt man, dass man das Anfahren und die Gänge beherrscht. Dieser praktische Teil entfällt für mich, da ich bereits einen deutschen Führerschein besitze. Während der theoretischen Prüfung ist ein Übersetzer anwesend, der möglichst alle Fragen beantworten können sollte, dachte ich. Nein, nein, das sei nicht so wichtig, meinte Zhang Ying, die mit einem Deutschen verheiratet ist und im vergangenen August als Übersetzerin ihrem Mann half, den Führerschein zu erwerben. Wenn sie eine Frage falsch beantwortet hatte oder sie nicht wusste, schaute sie einen der Polizisten Hilfe suchend an und der korrigierte dann oder deutete mit dem Finger auf die richtige Lösung. Die Englischlehrerin Liu Hong erzählt es ähnlich. Als sie in den Prüfungsraum kam, sagte ihr einer der Polizisten, wenn sie eine Lösung nicht wisse, würde er ihr schon helfen. Einmal auf die Schulter tippen bedeutet Lösung A, zweimal tippen ist B und dreimal tippen ist C. Die Abteilungsleiterin Zhao Wen in meinem School Office hat ihren Führerschein vor einem Jahr erhalten. Sie sagte, dass man nur 60% der Fragen richtig haben müsse, dass eigentlich überhaupt niemand durchfalle und schon gar kein Ausländer. Das sei absolut sicher, keinerlei Zweifel. Einigermaßen beruhigt meldeten wir uns zur Prüfung an. Wie wir später erfuhren, hatte Frau Zhao sich jedoch nie auf die Prüfung vorbereitet, sie hatte auch niemals einen Fragebogen oder auch nur eine einzige Prüfungsfrage zu Gesicht bekommen. Sie hat den Führerschein eben erhalten bzw. gekauft wie viele andere auch.

Die Gesundheitsuntersuchung bestand aus elf Stationen, die wir in rasantem Tempo durchliefen. Die uns als Dolmetscherin begleitende Lehrerin kannte die leitende Ärztin, diese lief vor uns im Eilschritt in jede der Abteilungen, diktierte laut unsere Registrierungsnummern auf das jeweilige Blatt und wies die Stationen unmissverständlich an, ein positives Ergebnis anzugeben -  ohne irgendeine Untersuchung. Das ersparte uns wahrscheinlich einen ganzen Tag Warterei auf den verschiedenen Stationen, denn vor jedem Untersuchungsraum bildeten sich lange Schlangen von Wartenden.

Beim Ausfüllen des Führerscheinantrags tauchte die Frage auf, für welche Autokategorie wir den Führerschein beantragen wollten. Es kamen B1 und C1 in Frage. Wir wollten B1, da wir vorhatten, einen Jinbei zu kaufen, der ungefähr einem VW-Bus entspricht. Da erfuhren wir, dass wir diesen Führerschein gar nicht mehr machen können, da wir älter als 50 Jahre sind. Der Jinbei hat neun Sitze und der Führerschein dazu kann nur im jugendlichen Alter bis 50 erworben werden. Überhaupt durfte man bis vor ein paar Jahren in China nur bis 60 Jahre Auto fahren, heute gehört man, was das Autofahren betrifft, erst mit 65 zum alten Eisen. Dann heißt es aber für alle Chinesen: Bitte den Führerschein abgeben! Wenn ich da an all die fröhlich Auto fahrenden Rentner in Deutschland denke.

Gleichzeitig mit der Anmeldung bekamen wir auch das Vorbereitungsbuch ausgehändigt. Das gibt es in einer englischen, deutschen, französischen, russischen und koreanischen Übersetzung, wir nahmen zwei deutsche und in weiser Voraussicht auch eine englische Version. Es enthält knapp 800 Fragen zu rechtlichen und verwaltungstechnischen Inhalten, zu Verkehrszeichen und Verkehrsregeln, darunter auch etliche neue für uns, zur Verteilung der Strafpunkte, zu Erste-Hilfe-Maßnahmen und zum Sozialverhalten im Straßenverkehr. Angesichts dieser Menge bekam ich es doch mit der Angst zu tun und büffelte all die Paragrafen und Fragen intensiv durch. Drei Probleme erschwerten die Prüfungsvorbereitung. Viele Fragen waren schlichtweg unverständlich, konnten aber häufig mit der deutlich besseren englischen Übersetzung gelöst werden. Bei anderen Fragen war einfach eine falsche Lösung angegeben, z.B. waren A und B verwechselt. Dann gab es noch viele widersprüchliche Angaben. Die Schwierigkeiten lagen nicht immer an der deutschen Übersetzung. Oft konnten uns auch Chinesen nicht weiterhelfen und meinten: Ja, diese Frage wäre falsch beantwortet. Oder: Von jener Frage würden sie selbst auch nicht den Sinn verstehen. Bei vielen Fragen versuchte ich dann eben die falsche Lösung mitzulernen.

Am Tag der Prüfung wurden allen Prüflingen (es waren jeweils 25 gleichzeitig) zuerst zwei Videofilme gezeigt. Diese schilderten sehr drastisch LKW-Unfälle mit bejammernswerten Folgen. Zwei Mädchen überlebten schwer verletzt, jedem von ihnen musste ein Bein amputiert werden. Bei der anderen Familie wurden die Eltern getötet, die zwei kleinen Kinder wurden unter traurigen Bedingungen von den Großeltern aufgezogen. Psychologisch derart aufgerüstet führte man uns in den Prüfungsraum. Jeder Prüfling setzte sich vor einen Computer, mein Mann wurde jedoch absichtlich weit von mir entfernt platziert. Jeder Computer wählte nun aus dem Fragenkatalog mit mehr als 800 Fragen per Zufallsprinzip für jeden Prüfling 100 Fragen aus, die er innerhalb von 45 Minuten beantworten musste. Anschließend beendet sich das Programm von selbst und teilt einem das Ergebnis mit. Es waren auch etliche Fragen dabei, die nicht im Vorbereitungsheft enthalten waren. Nur mit 90 und mehr richtigen Antworten hatte man die Prüfung bestanden. Einen Computer täuscht man nicht, überlistet man nicht, besticht man nicht. Man kann ihn so freundlich anlächeln wie man will, er hilft einem nicht und tippt einem auch nicht auf die Schulter. Bei der Zufallsauswahl waren auch viele rechtliche und verwaltungstechnische Fragen dabei. Gerade diese Bereiche hatten mich nicht sonderlich interessiert, ich hatte mich mehr auf neue Verkehrszeichen und neue Verkehrsregeln konzentriert. Während der Prüfung herrschte absolutes Schweigen, unterbrochen nur von schweren Seufzern, tiefem Luftholen, Schnaufen, leichtem und gegen Ende immer lauterem Stöhnen der Teilnehmer. Wenigstens wusste ich eines: Wenn ich durchfiele, hätte ich genügend Entschuldigungen. Solch verflixtes Zeug zu lernen – wenn ich das vorher gewusst hätte! Dann aber verhalf mir meine pflichtbewusste Vorbereitung doch zu immerhin 93 Punkten, mein weniger fleißiger Mann erreichte aber mit seinem exquisiten Gedächtnis 96 Punkte.

Als ich Frau Zhao von unseren so ganz anderen Prüfungserfahrungen berichtete, schaute sie mich verständnislos an, lächelte ungläubig und meinte, dass ganz sicher nach einer nicht bestandenen Prüfung die Aufsichtspersonen das Ergebnis in "bestanden" korrigieren würden. Als wir ihr berichteten, dass offenkundig zwei der Prüflinge nicht bestanden hätten und beim Abholtermin am nächsten Tag ihren Führerschein nicht bekommen hätten, glaubte sie uns nicht. Das lag außerhalb ihres Vorstellungsvermögens.

Die folgende Auswahl der Fragen ist exakt so abgeschrieben wie sie im amtlichen chinesischen Fragenkatalog mit der deutschen Übersetzung stehen. Die Lösungen laut chinesischem Fragekatalog sind unten angefügt. Wie bereits erwähnt sind sie teilweise fehlerhaft, aber das sind sie im Computer bei der Prüfung dann eben auch.

Katharina Meuß, Tianjin 10. April 2006